Montag, Oktober 23, 2006

Auf den zweiten Blick

Heute war ich auf einer Regatta. Es war nicht irgendeine Regatta.
Es war die größte Regatta der Welt. 8000 Ruderer, 250000 Zuschauer.
Eigentlich war alles eine ganz unspektakuläre Mischung aus Musikfestival und letztem Sonnentag an den Neckar-/Main-Wiesen. Nur ganz anders; und das ist genau das tückische an Boston. Auf den ersten Blick glaubst du, dass alles ganz normal ist, irgendwann beschleicht dich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt und kurz darauf merkst du dass alles ganz anders ist als du dachtest.
Ich kam also am Ufer des Charles River an und sah jede Menge Buden und Stände, Menschen auf Picknickdecken die auf den Fluss schauten und eine Musikbühne.
Ein schöner Sonntagnachmittag dachte ich. Wie zu Hasue.
Und dann begann ich etwas am Ufer entlangzuflanieren, beobachtete Menschen, begutachtete Buden. Und als ich so eine Weile flaniert war, dachte ich bei mir, was ich immer denke, wenn ich Buden sehe: es ist Zeit für Surferketten-gucken. Doch eine Weile später, nachdem aus dem Flanieren längst ein ungeduldiges Hetzen von Bude zu Bude geworden war, musste ich feststellen: Surferketten-Buden sind aus. Es gibt zwar 320904 Buden - aber an allen wird frittierbares Essen verkauft.
Gut dachte ich mir, kaufe ich mir eben ein leckeres Weizenbier, oder - üben wir uns in bescheidenem Realismus - eine Dose Bier-Ersatz und setze mich mit Mark und Christian ans Ufer und schaue dem endlosen Strom an Ruderbooten zu.
Und genau das war der Punkt, an dem ich merkte, dass eben doch alles ganz anders ist. Es gibt nämlich keinen Bier-Ersatz auf einem solchen dafür prädestinierten Ereignis. Alles was es gibt, ist Coke, Sprite und Monster-Energy-Drink.
Daraufhin hat Mark beschlossen ins MGH zu gehen um eine Matlab-Routine zu programmieren.
Christian und ich hingegen, wir haben beschlossen uns anzupassen und sind zur Bühne vorgedrungen. Na ja,nicht ganz vor, dafür war die Bierenttäuschung zu groß, aber immerhin Mischpulthöhe.
Und da haben wir eine dolle Show von Arrested Development gesehen. Auch hier vermutete ich zunächst ein ganz normales Konzert einer ganz normalen, ehemals großen Band bei einem ganz normalen Comebackversuch. Es gab Menschen, vorne tanzten sie, hinten nickten sie nur noch mit den Köpfen, die Band versuchte sie zum singen von hey hey nanana in verschiedenen Variationen zu bewegen, was manchmal klappte, manchmal auch nicht und ihren größten Hit (People Everyday) spielten sie ganz zum Schluss.
Schon bald aber kam mir etwas seltsam vor. Zuerst dachte ich für einen kurzen Moment, es läge an den wild hüpfenden Mädchen in den bunten Röcken, doch dann merkte ich: Arrested Development ist eine moblie Senioren-Beschäftigungs-Einheit!
Auf der Bühne stand während der gesamten Show ein mit bunten Tüchern behängter älterer Mann - es wurde behauptete er sei 74 Jahre alt und hieße Babba - der abwechselnd unsicheren Schrittes die Bühne überquerte oder auf seinem Stuhl saß und sich davon ausruhte. Manchmal sollten wir alle mehrmals hintereinander "Go Babba" rufen und dann kniete sich der alte Mann hin, stand ein paar Sekunden später wieder auf und wir applaudierten. Zwischendurch klopften ihm verschiedene Bandmitglieder auf die Schulter und gegen Ende der Show durfte er in ein ausgeschaltetes Mikrofon schicken. Es hat ihm gefallen. Er fühlte sich gebraucht. Ich fühlte mich verwirrt.

Ich geh jetzt meinen Büroschlüssel suchen. Der ist nämlich...äh...weg..äh..vielleicht finde ich ihn ja auf den zweiten Blick..