Montag, Oktober 09, 2006

Trunkenbolde

Deutschland hat ein Trunkenbold-Problem. Gut, wir wollen nicht übertreiben, sagen wir: Die Deutsche Bahn hat ein Trunkenbold-Problem.
Auf meiner Suche nach dem UPS-Mann mit dem DS2019 bestieg ich am Freitag mittag, wie so oft in den letzten 5 Jahren, den Regionalexpress von Wüzburg nach Stuttgart und ging dierkt zu meinem bewährten Stammplatz (letzter Waggon mitte, in Fahrtrichtug rechts=leise, wenig los, kurzer Umsteigweg und keine direkt blendende Sonneneinstrahlung).
Eine halbe Stunde später kamen wir in Lauda - Nest der Trunkenbolde, wie ich jetzt weiss - an und eine große Gruppe von 20 Exemplaren, Typ jugendlicher Proll-Trunkenbold stieg zu; lautstark schwenkten sie ihre gefüllten Maßkrüge und Bierflaschen, grölten Trunkenbold-Lieder.
Von nun ein war ich wachsam - ein Trunkenbold-Verdacht hatte sich begründet.
Zum Glück konnte ich eine halbe Stunde später in Osterburken aussteitgen und kam ohne weitere Trunkenbold-Belästigungen in Heidelberg an.
Dort machte ich mich auf direktem Weg auf in Richtung meiner alten Wohnung, warf unterwegs einen letzten Blick auf mein noch immer brachliegendes Radl an der Markscheide (der aufmerksame Leser erinnert sich an den Tag an dem ich ein Spielzeug des Fahrradheiligen war), und schlich mich unauffällig mit meinem Ex-Nachbarn in mein altes Haus um mich auf Spurensuche zu begeben. Leider Vergeblich. Weder vor meiner Ex-Tür, noch in meinem Ex-Briefkasten, noch - wie eigentlich besprochen - vor der Tür meines Ex-Vermieters. Nichts. Doch nach einem kurzen Telefonat mit meinem Vermieter erfuhr ich wo meinGlück lag. Bei der Pflegerin des Vaters meines Ex-Vermieters. Also holte ich es dort ab und fuhr im nicht einmal durch Trunkenbolde zu zerstörenden DS2019-Glück nach Hause, nach Uengershausen.
Eigentlich waren die Trunkenbolde schon fast vergessen.
Bis ich am nächsten Tag nach Bayreuth los zog um an Seiten meiner Liebsten Ihren Geburtstag zu begehen. Kaum hatte ich es mir um 10h in der früh in einem sorgfältig ausgewählten Direktzug von Würzburg nach Bayreuth (es gibt ihrer nur sehr wenige) bequem gemacht und meine ZEIT ausgepackt, fiel ein Schwarm Trunkenblode in meinen Waggon ein. Zunächst schöpfte ich keinen Verdacht, denn Sie waren keinesfalls von einem einfach zu erkennenden Typ. Nein, auf den ersten Blick schienen sie das zu sein, was sie vorgaben: 15 spießige Wandersfreunde zwischen 50 und 65 Jahre alt, die einen Wochenendausflug nach Oberfranken machen. Doch weit gefehlt. Nach ein paar nicht zitierenswürdigen anti-bayrischen Witzen, vorgetragen in rheinischem Sing-Sang, offenbarten sie ihre wahre Natur. Eine Tasche wurde herbeigetragen und ein jeder griff zu einem Schnappsfläschchen, das er sogleich unter großem Hallo leerte, nur um ein weiteres mal in die Tasche greifen zu können. Und so tranken sie, grölten ihre Trunkenbold-Lieder, empörten sich lautstark über unverheiratete 30 jährige Frauen aus Spießergechichten und klagten ebenso laut über ihre zahlreichen Krankheiten, bis Sie endlich in Bamberg austiegen, jedoch nicht ohne sich vorher mit schwerer Zunge für Unannehmlickeiten zu entschuldigen.
Dann lehnte ich mich zurück, betrachtete das für mich von den alternden Spießer-Trunkenbolden als Geschenk zurück gelassene Fläschchen Multivitamin-Schnapps und las das ZEIT-Spezial über Altern in Würde.