Dienstag, November 15, 2005

86

es regnet. eigentlich wollte ich gerade auf ein paar bier in der stadt sein, aber nach von schütztenden balkons begrenzten sprints zum penny-markt und zurück durch regen und kälte, hab ich beschlossen lieber daheim zu bleiben. ich finde das ist ein guter einstieg um der welt wieder mitzuteilen wie der flo sie sieht: die andere seite der medaille. zurück in heidelberg, 2 monate vor der gefürchteten diplomprüfung experimentalphysik (Atom-und Molekülphysik, Teilchen und Kerne, Festkörperphysik. wie die welt funktioniert und warum.), das nostalgiereiche leben eines ex-erasmusstudenten mit der schweren last der erinnerung führend, folge ich dem ruf nach einer wiederbelebung meines blogs. und sage euch wieder wie ich es sehe:

gerade sehe ich vor allem eins: ich bin alt. heute haben sich die indizien zu einem gesamtbild zusammengefügt, das nur eine deutung zulässt. es fing an mit einem leeren karton, in dem eigentlich kaffefilter sein sollten, mit deren hilfe ich ein bitter schmeckendes schwarzes getränk zusammenbraue, das ich jeden morgen lauwarm und ohne zucker schlürfe (denn Giovanni, als italienischer physiker automatisch zum experten qualifiziert, sagt, dass zucker die wachmachende wirkung zunichte macht. ich gehe kein risiko ein.) um meine augenringe und mich am leben zu erhalten. jedenfalls war der karton leer, die filter aus, die verzweiflung groß. nachdem mir dann DHL den tag vollkommen vermiest hat, indem sie mir mitteilten, dass ich meine sendung entweder in mannheim abholen könne oder aber einen zweitzustellungstermin morgen um 8 bekommen könnne, vorausgesetzt ich finde die richtige sendungsnummer heraus, denn der lieferant hatte auf die benachrichtigung eine falsche geschrieben. super, dachte ich dann bei mir, und beschloss aktiv was für eine wende zu einem guten tag zu tun und mit "Los Delinquentes" im ohr und meinem mountainbike zwischen den beinen an allen anderen fahrradfahrern vorbei zum campus zu fliegen.
auf unserem campus gibt es einen teich. eigentlich sieht man vor allem eine geschlossene, grüne, vor sich hinwabernde fläche, die bestenfalls aus algen besteht und aus deren existenz man wiederrum auf die existenz von wasser darunter schliessen kann. dieser "teich" ist vor dem hörsaalgebäude der physiker. hat man sein diplom, kann man, um das der welt mitzuteilen, alle möglichen widerlichen sachen im teich machen. ich will auch bald mal mein diplom haben, und deshalb hab ich mein fahrrad auf der brücke, die über den teich zu den hörsälenführt, an das als geländer dienende drahtseil geschlossen. ich misstraue den jugendlichen erstsemestern die sich dort rumtreiben und auf der brücke herumlungernd, kopfnickend vor sich hin rappen. deshlab schliesse ich immer sehr sorgfältig alles ab. mein hinterrad und den rahmen ans seil und das vorderrad mit einem extraschloss an den rahmen. meinen sattel nehm ich immer mit und hoffe dass ich ihn nirgendwo liegenlasse, obwohl dieses risiko wahrscheinlich die selbe grössenordnung hat wie das diebstahlrisiko. jedenfalls war ich von der langen fahrt und der kälte etwas zittirg - und meine klingel ist mir in den teich gefallen.
resigniert und jeglicher motivation beraubt, hab ich mich dann zum Phil gesetzt und wir haben unser exzerpt, kompressionsverhältnis 5:1, weiterverfasst. heute feskörperphysik: strukturbestimmung und defekte. wie jedes mal hab ich nach ca. 45 sekunden den Phil um sein ohropax beneidet, mit dessen hilfe er die umwelt ausblendet und nicht dem zwang nachgeben muss, sinnlose ersti-gepräche ("also der hund hat einen impuls, und den überträgt er jetzt auf das floss, oder wie?") mit anzuhören. und deswegen musste er auch sie nicht mitanhören, die zahl des tages: irgendwann haben sie nämlich gemerkt, dass sie nix verstehen, das ersti-pack, und haben sich über ihre geburtstage unterhalten, und da fragt einer von ihnen nach dem jahr und sagt ganz selbstverständlich: 86, oder? und es wird nur mit einem nicken kommentiert.
!!!1986!!!
mein KLEINER bruder ist 83 geboren!!
1986 konnte ich schon fast lesen!

und dann hab ich nachgedacht:
ich weiss nicht weiter ohne kaffefilter. gut, sowas hätte mich auch in jüngeren jahren zu dem schluss geführt, dass es nur ein scheiss-tag sein kann der auf mich wartet...aber nach 8h schlaf? es bleiben zweifel.
ich habe zittrig meine klingel in den physikteich geworfen.
ich misstraue meinen jugendlichen mitmenschen.
das geburtsjahr eines gemeinen erstis stürzt mich in eine sinnkriese.
ich bleibe abends zu hause weil ich nicht durch den regen fahren will.
ich bin alt.
heute um 6 hat mich wie jeden dienstag meine oma angerufen. dann tauschen wir immer neuigkeiten aus, meine oma und ich. ich mag solche festen gewohnheiten.